Todessturz Pawlaks in Halle

„Hallische Nachrichten“ vom 12. Juni 1933

Todessturz Pawlaks in Halle

Ein Unstern über dem Renntag des hallischen Holzovals – Der verhängnisvolle Regen des Sonnabend-Nachmittags – Starke Erregung der Zuschauer

Das am Freitag begonnen und dann wegen Regens abgebrochene hallische Radrennen brachte bei seiner Fortsetzung am Sonnabendabend einen furchtbaren Unglücksfall, dem ein Menschenleben zum Opfer fiel. In dem Endlauf zum Mitteldeutschen Steherpreis kam der Dauerfahrer Pawlak-Forst in der Kurve zu Fall. Der Rennfahrer überschlug sich und rutschte nach seinem Sturz so unglücklich die Fahrflache hinunter, daß er von der dichtauf folgenden, von Przyrembel geführten Schrittmacher-Maschine überfahren wurde. Bei diesem Unglücksfall, in dem auch Przyrembel und der Hallenser verwickelt wurden, erlitt der Forster Pawlak so furchtbare Verletzungen, daß er wenige Stunden später im Krankenhaus verstarb. Besondere Umstände, über die weiter unten noch einiges gesagt ist, lassen diesen entsetzlichen Unglücksfall, bei dem auch Horn verletzt wurde, in besonders tragischem Lichte erscheinen.

Um die seltsame und furchtbare Verkettung unglückseliger Momente, die schließlich zu dem Todessturz führte, begreiflich machen zu können, muß ausführlich über die äußeren Bedingungen dieser hallischen Rennveranstaltung gesprochen werden. Ein Unstern stand von Anhang an über ihr! Es wurde diesmal ein Rennen gefahren, für das zehn Dauerfahrer – die in der Hauptsache dem Nachwuchs entstammten – verpflichtet waren. In zwei Vorläufen sollten die fünf Besten ermittelt werden. Diese sollten dann das Finale, die anderen fünf ein weitere kleines Rennen – ein Rennen der Unterlegenen – bestreiten. Ein Vorlauf (den der Hallenser Horn gewonnen hatte) war am Freitag abgewickelt worden, dann hatte das Rennen wegen Gewitterregens abgebrochen werden müssen. Die Fortsetzung war auf Sonnabend 19 ¼ Uhr festgesetzt worden.

Den Sonnabend über bis in die späten Nachmittagsstunden hatte es mit Unterbrechungen geregnet. Die Hoffnung auf Durchführung der Rennen war schon fast aufgegeben, als sich in der sechsten Nachmittagsstunde der Himmel doch noch aufklärte. Gegen 19 Uhr war die Radrennbahn dicht besetzt. Die Tausende, die zum zweiten Male zum Böllberger Weg hinausgepilgert waren, mußten aber feststellen, daß die Bahn noch nicht abgetrocknet war und daß sie unmöglich befahren werden konnte, weil vor allem die Kurven noch glitschig waren. Der Verein Radrennbahn ließ deshalb die Kurven mit Benzin abbrennen und erreichte dadurch auch eine Beschleunigung der Trocknung. Dann wurde ein kurzes Fliegerrennen gestartet, dass ohne Unfall abging, Rückschlüsse auf die Fahrfähigkeit der Bahn für Steherrennen aber nicht zuließ. Schließlich kreisten die Schrittmacher-Maschinen längere Zeit auf der Bahn.

Unverständlicherweise – das muß hier ganz klar formuliert ausgesprochen werden – wurden jetzt immer häufiger Zurufe laut, die einen Beginn des Rennens forderten! Das kann nicht scharf genug verurteilt werden. Die Entscheidung über die Fahrfähigkeit kann durch solches Beginnen sicherlich nicht im Sinne einer ruhigen, sachlichen Erwägung gefördert werden. Es ist schwer, wenn nicht sogar unmöglich, hier festzustellen, ob ein innerer Konflikt – Zuschauer-Zurufe, eventuell neue Verlegungen des Rennens um mehrere Tage (am Sonntag waren einige Fahrer nach anderen Städten verpflichtet), der Druck, der hereinbrechenden Dunkelheit usw. – nicht mit zu jähem Entschluß für die Fahrfähigkeits-Erklärung beendet wurde. Durchaus nicht von der Hand zu weisen ist auch das Moment, daß die Bahn nach kurzer Zeit, in der eine Befahrung möglich war, wieder unbefahrbar wurde, denn die Luft war feucht, es war windstill und von unten bzw. aus den Holzfugen kann die Nässe wieder nachgedrungen sein.

Fest scheint uns jedenfalls zu stehen, daß das Rennen über den zweiten Vorlauf oder die Entscheidung der Unterlegenen hinaus nicht mehr hätte gestattet werden dürfen.

Das war kein richtiges Fahren! Keiner der Dauerfahrer getraute sich einen Vorstoß einzuleiten, weil dauernd die Gefahr des Rutschens bestand. Wolke, Schäfer, Welzin, ja, mit wenigen Ausnahmen auch die anderen, fuhren ganz verhalten und vorsichtig. Unter solchen Umständen konnte es natürlich Kampfmomente kaum geben. Sie bestanden höchstens aus dem (aussichtslosen, weil zu gefährlichen) Versuche einiger Fahrer, an die Vordermänner heranzukommen. Und es ist bezeichnend, daß die einzige Veränderung des Schlußstandes gegenüber der Reihenfolge beim Start dadurch zustande kam , daß Pawlak an Redo vorüber kam, als dieser einmal weit von der Rolle abgekommen war. Kurz vor Abschluß des Vorlaufes stürzte Welzin, ohne sich erheblich zu verletzten. Der Hannoveraner fuhr aber nicht weiter. Der Vorlauf sah Neustedt, der schon beim Start die Spitze hatte und in guter Form sich befand , über 15 km in 12:52,2 vor Pawlak (3 m zur.), Redi (140 m zur.) und Wolke (667 m zur.) siegreich.

Auch der Entscheidungslauf der Unterlegenen sah die Fahrer mit aller Vorsicht am Werke. Die einzige Veränderung bei diesem auf 19 km verkürzten lauf gab es, als Schäfer freiwillig von der Rolle abging. Auch hier war im übrigen der Einlauf im Ziel genau so wie beim Ablauf. Erster wurde Preuß mit 17:33 vor Wolke (101 m zur.) Jürgens (150 m zur. und Schäfer (520 m zur.)

Und nun wurde auch noch der verhängnisvolle Endlauf der fünf Besten gestartet. Schon beim Abschlußnehmen kam Pawlak zu Fall. Der Start wurde wiederholt. (die Fahrstrecke war wegen der hereinbrechenden Dunkelheit schon von 50 auf 30 km verringert worden!) Der Bochumer Lohmann glitt dann in der Kurve so ab, daß er sofort abstieg und freiwillig ausstieg. Wenig später entging Pawlak nur mit Mühe und Not den schweren Folgen eines Steuerfehlers. Er kam in der Südkurve von der Rolle und wurde beinahe gegen die Planke gefahren. Im letzten Augenblick konnte er seine Maschine jedoch noch herumreißen. Aber dann kam doch der verhängnisvolle Sturz.

Pawlak, der zweifellos am prächtigsten in Form war, wollte versuchen, hier doch einmal das ganze Können einzusetzen. Aber im Spurtkampf kam er in der Südkurve am Böllerberger Weg zu Fall. Er überschlug sich und stürzte dabei in der stark überhöhten Kurve so unglücklich, daß er – ein grauenhafter Moment – beim Abrutschen direkt vor die Maschine des dichtauf folgenden Schrittmachers Przyrembel zu liegen kam. An ein Ausweichen war bei dem sich in Sekundenbruchteilen sich abspielenden Unglücksfall sowie der kurzen Entfernung der beiden Paare und dem gefahrenen Tempo nicht zu denken – die schwere Maschine ging direkt über den Körper des Unglücklichen hinweg. Przyrembel stürzte und mit ihm der von ihm geführte Hallenser Horn. Ein einziger Schrei des Entsetzens hallte über die Bahn. Sanitätspersonal war sofort zur Stelle und brachten Pawlak und Horn auf Bahren hinweg, während Przyremel, von Freunden gestützt die Bahn selbst verlassen konnte. Der Forster Pawlak wurde sofort ins Elisabethkrankenhaus gebracht., wo er aber nur noch kurze Zeit lebte. Zwischen 24 und 1 Uhr verstarb der Unglückliche, der zu den Besten der in A- und Nachwuchs-Rennen beschäftigten deutschen Fahrern gehörte.

Der Hallenser Horn hatte nur geringfügige Verletzungen erlitte und konnte am Sonntag schon wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden.