Filmwoche, Heft 44/1932

Bei uns wird gefilmt!

Für den Tonfilm „Strich durch die Rechnung“ mit Heinz Rühmann fanden Außenaufnahmen in Forst in der Lausitz statt, ein Ereignis, dass vielen Forstern unvergeßlich sein wird. Forst hat 37.000 Einwohner -, in welcher Stadt gleicher Größe fanden je Filmaufnahmen statt? Man wird sich die Aufregung vorstellen können, die die Filmtage für Forst bedeuteten. Und deshalb lassen wir aus Anlaß der Berliner Uraufführung des Films einen Augenzeugen über die Forster Filmtage berichten.

„Bei uns wird gefilmt, die Ufa filmt!“ so hört man es in allen Straßen, auf allen Plätzen, in allen Ecken. Ein Raunen und Flüstern geht durch unser stilles Städtchen: „Die Ufa filmt!“ – ist Tagesgespräch: Mädchen und Buben, Frauen und Männer – alles haucht in einem Atemzug „Die Ufa kommt!“ – Und schon ist sie da, die Ufa. Wagen auf Wagen rollt heran, geladen mit kostbaren Inhalt. Ach, was kommt da nicht alles zum Vorschein: Motoren und Umformer, Batterien von Scheinwerfern, Bündel von Kabel und Starkstromleitungen, Garderoben und Requisiten. Bei letzteren sogar zwei Revolver, mit denen laut Manuskript Käthe von Nagy den Startschuß abgeben muß. Der Aufnahmestab ist auch schon da, dort in der Loge der Rennbahn – wo nachher im Kreuzfeuer der Scheinwerfer Menschen, Künstler, Schauspieler ein fremdes Schicksal gestalten werden – sitzt der Obergewaltige, Produktionschef und Regisseur, Alfred Zeisler. Bewundernswert, mit welcher Ruhe er Anweisungen gibt, mit welch gleichbleibender Liebenswürdigkeit er die unzählig auf ihn einstürmenden Fragen meistert und mit welch künstlerischer Gestaltungskraft er Szene um Szene zu einem geschlossenem Werk vereinigt.

Auch die Schauspieler sind zum großen Teil anwesend: Deutsche und Franzosen; denn der Film wird in zwei Versionen gedreht, unsere liebe, gute alte Rennbahn bekommt fast einen internationalen Anstrich. Deutsch-französische Sprachbrocken schwirren durch die Luft. – Immer noch treffen neue Gäste ein, jedesmal stürmisch empfangen, Begrüßungsworte fliegen hin und her: „Bon jour, bon jour“, „Bon jour, mon cher“ – dann: „Ah, guten Tag, wie geht es Ihnen?“ -“Trés bien!“ „Särr gut! Särr gut!“ – Die Vorbereitungen sind soweit beendet, morgen beginnen die ersten Aufnahmen. So verkündet der deutsche Aufnahmeleiter. Alles ist gespannt, wie ein Lauffeuer wurden diese Worte von Mund zu Mund getragen, und am nächsten Tag sind die Kurven und Tribünen zum Brechen voll. Alles will dem großen Ereignis beiwohnen. Wallburg, der Wohlbeleibte – man hatte ihn, gerade aus Berlin kommend, zur richtigen Stunde auf der Chaussee abgefangen -, spielt die erste Szene. Aber, o weh, Otto hat seinen Hut vergessen, ausgerechnet den Hut – Bombe nennt man ihn im Volksmunde. Man probiert alles zur Verfügung stehende Mützenmaterial durch. Vergebens: „Der Hut macht‘s“. Alle Koffer werden durchgewühlt, endlich hat man ihn gefunden. Otto kann seine Szene drehen. Einmal, zweimal, dreimal wird geprobt, noch einmal legt Zeisler alle Einzelheiten fest, und endlich klappt alles: „Achtung, Aufnahme!“ ertönt eine sonore Stimme. Pech, gerade schiebt sich eine dunkle Wolke wie zum Hohn vor die Sonne.

Brandes, der Kameramann, steht in einiger Entfernung abwartend, ob nicht bald ein goldener Strahl durchblinzeln wird. Endlich – „Fertig: Achtung, Aufnahme…!“ Scheinwerfer leuchten auf, das Mikrophon, im Grün eines Baumes verborgen, liegt auf der Lauer, die Kamera ist startfertig. Otto spielt, spielt sich in die Herzen der Umstehenden, in die Herzen der Zuschauer. Er unterhält sich mit seinem Sohn (Pulvermacher): „Eine Schnauze hast du! Sag bloß nicht, von wem du die geerbt hast!“ Aber der Kleine scheint wirklich auf Vaters Erbe stolz zu sein. Er will seinem Vater nichts nachgeben. Schlag auf Schlag folgt Antwort auf Antwort. Amüsant verwickelte Situationen entstehen, voll heiteren Humors und köstlicher Satire. Die Szene ist fertig, Zeisler ist zufrieden, wollen mal hören, wie der Ton ist. Rufe schallen her und hinüber, aus der kleinen grünen Tonkabine klettert Meister Kagelmann, ein Hüne, der ehemalige deutsche Kampfflieger, jetzige Tonmeister der Ufa: „ Der Kleine (Pulvermacher) muß beim letzten Satz lauter werden.“ Also, noch einmal – und so geht es weiter, bis beide Verantwortlichen, Zeisler und Kagelmann, ihre Zustimmung geben.

Tag für Tag vergeht, Regen und Sonnenschein treiben ein fröhliches Spiel – für Zeisler allerdings alles andere als fröhlich. – Unzählige Menschen pilgern hinaus zur Rennbahn, eine Völkerwanderung, mit Rädern und Autos, alle wollen es sehen, das Große, immer noch Unfassbare die Ufa filmt, filmt, auf unser Rennbahn. Das kommt nur einmal und niemals wieder, und so rennen Tausende von Menschen und sehen, staunen und begreifen; begreifen hier draußen erst einmal, mit welch ungeheurer Energie und überwältigender Arbeitsleistung Szene für Szene langsam und mühselig aufgebaut wird.

Stundenlang, ja oft einen ganzen Tag probt man an einer einzigen Aufnahme, die nachher im fertigen Bild in Sekundenschnelle an unserem Auge vorübereilt. Großaufnahme, die Massenszenen werden gedreht, über zweitausend Zuschauer sind dafür verpflichtet worden, auf den Tribünen und an den Kurven wimmelt es von Männlein und Weiblein, von Edelkomparsen. Es ist Mittagszeit, die Sonne drückt unerträglich, eine leise Unruhe macht sich unter den Komparsen bemerkbar, wie ein Gewittersturm erst weit entfernt, langsam, immer näher und näher kommend, dann plötzlich mit orkanartiger Wucht ausbrechend, so ertönt es im Sprechchor: „Wir haben Durst! Was haben wir? Durst, Durst, Durst!“ Zeisler, der Allverantwortliche, lächelt, alle lächeln mit. – „Wir haben Durst, wir haben Durst“, so klingt es abwechselnd bald aus der West-, bald aus der Ostkurve; aber Zeisler ist ein Mensch – „der gerechteste, den ich kenne.“ sagte mir ein Schauspieler -, und Kübel, Tröge, Waschfässer voll eisgekühlter Getränke werden auf die Tribünen geschickt. Alles stürzt sich mit ausgetrockneten Kehlen auf das köstliche Naß. Neubelebt geht es mit frischen Kräften wieder an die Arbeit. Wieder rattern die Motoren mit ohrenbetäubendem Lärm in die Kurve, wieder ruft das begeisterte Publikum seinem Liebling (lt. Manuskript) ermunternde Worte zu. Die Kameraleute arbeiten unermüdlich. Unbarmherzig brennt die Sonne in das weite Oval der Rennbahn; weit und breit kein schattenspendendes Plätzchen. Schon längst haben Aufnahmestab und alle Aufnahmefreien sämtliche überflüssigen Kleidungsstücke abgelegt. Oelgetränkt, braun gebrannt wie die Negermit Badeanzug oder Strandanzug bekleidet, so laufen hier unsere Prominenten ohne Ausnahme bis zum Abend – und abends geht es ins kühle Naß. Im Klubhaus der Fechterschaft ist die Ufa ständiger und gerngesehener Badegast. Hei, wie Kampers und Speelmanns um die Wette schwimmen, am Ufer von einer Meute halbwüchsiger Mädels und Jungens begleitet: „Feste, Kampers, schneller, schneller!“ „Mensch, Fritze, Zug, Zug, Tempo, Tempo!“ So jault die junge Schar. Auf dem Sprungbrett steht der Liebling aller: Gustl Starck- Gstettenbaur. Alles ruft und nennt ihn nur den „Gustl“, und so ist er erklärter Liebling von jung und alt:, in seiner Bescheidenheit, Natürlichkeit und Zurückhaltung, mit seinen künstlerischen Fähigkeiten hat er sich alle Herzen erobert. Hopp, mit elegantem Sprung dreht er seine Saltos vor- und rückwärts ins Wasser. Sein durchtrainierter muskulöser Körper kennt keine Hemmungen und Hindernisse.

Es ist wieder mal Abend. Noch einmal mit ihren goldenen Strahlen uns zulächelnd, versinkt die Sonne hinter den Tribünen. Die Aufnahmen sind für heute beendet. Die Aufnahmegeräte werden eingeräumt, die Kabel aufgerollt, das Publikum von den Tribünen drängt den Ausgängen zu, da auf einmal, hoch im blauen Aether, ein Surren und Brummen, immer lauter und stärker werdend, näher und näher kommend, entpuppt sich bald der lärmende Vogel als ein Sportflugzeug. Jetzt schwebt es über unseren Köpfen, majestätisch gleitet es, Kreise ziehend, nach unten. Alles schaut nach oben; wer mag wohl der seltene Besuch sein? Irgendwo hat es jemand gesagt, mit einmal wissen es alle, es ist Rühmann, Heinz Rühmann, der Hauptdarsteller des Films.

Vor vierzehn Tagen war unser lieber Heinz noch bös zugerichtet. Beim Trainieren auf der Bahn stürzte er. Ueber acht Tage mußte er den Aufnahmen fernbleiben; aber die gesunde Luft im Waldschloß Pohsen bei Forst (Sanatorium Dr. Boit) hatte ihn schnell wieder auf die Beine gebracht. Nun war er wieder in seinem Element – denn Heinz ist ein begeisterter Flieger, überhaupt ein tüchtiger Sportler -, noch eine Runde, und langsam entschwindet er unseren Blicken, in Richtung Nordost. O kommt im bunten Wechsel allmählich der letzte Aufnahmetag. Noch einmal begeistertes, wild tobendes Publikum. Noch einmal Tücherschwenken, noch einmal Bravo- und Hochrufe: Rühmann, der glückliche Sieger des Rennens, fährt seine Ehrenrunde, stürmisch von allen Seiten begrüßt.

Er lächelt, ein siegesbewußtes Lächeln schwebt um seine Lippen. Ein Triumphator – auf seinem eisernen Roß dahinfahrend, nimmt er huldvoll die Ovationen entgegen. Mit einem Freudenjauchzer über die Barriere springend, läuft Tony van Eyck, die kleine Handschuhverkäuferin, dem Sieger entgegen. Ihr Herz ist übervoll, ist doch jetzt der weg zu ihrem Glück geebnet, denn Heinz und Tony sind das Happy end des Tonfilms.

Kurzkritik

„Strich durch die Rechnung“ —, uraufgeführt im Ufapalast am Zoo, heimste einen lauten Erfolg ein. Beteiligt sind alle zu gleichen Teilen, ob Dramaturg, ob Regisseur, ob Darsteller. Zeisler hat mit viel Liebe, viel Geschmack und vor allem mit verblüffender Sachkenntnis gearbeitet: das Radrennfahrermilieu aus den Sechstagefahrten wird vor und hinter den Kulissen lebendig. Und zum Schluß setzt sich das Können durch, weil unser Glaube an den Sieg des Guten (trotzalledem) unerschütterlich ist. In den Rollen Rühmann; Wallburg, die Eyck, Tieldtke, Flockina von Platen (neueren Datums und bezwingend), Kampers, Speelmans und Stössel.