Tony van Eyck in dem Film „Ein Wunder unserer Tage“

Mein Film vom 24. Dezember 1948

Sie spielt die Mutter der kleinen Regine, an der sich das Wunder der Filmhandlung vollzieht. Sie ist‚ so schreibt es das Drehbuch vor, eine ärmlich gekleidete Frau‚ etwa Mitte der Dreißig, die aber‚ von Sorge bedrückt, viel älter aussieht. Ihr Gesicht ist von tragischer Herbheit gezeichnet‚ ihre Rolle ist passiv‚ fast stumm. Während einer einzigen Nacht, am Bett ihres lebensgefährlich erkrankten Kindes, erlebt diese Mutter alle entsetzlichen Qualen der Ohnmacht und Verlassenheit, aufflackernder Hoffnung und tierischer Angst‚ die sich aus einer solchen Situation ergehen.

Tony van Eyck spielt hier ihre erste Mutterrolle. Sie ist auf „älter“ und „verhärmt“ geschminkt, trotzdem zeigt auch ihr Filmgesicht noch die weichen und runden Formen ihrer unverändert jung‚ fast kindlich gebliebenen Züge. In einem mit kostbaren‚ musealen Schätzen gefüllten Wohnzimmer ihres Wiener Heims im alten Barockpalais der Piatti am Hof, hebt sie den Lampenschirm und läßt sich grell vom Licht bescheinen … ]a, es ist das klare, eindringliche und leidenschaftliche Gesicht, es sind die fragenden, ein wenig verschreckten‚ tiefen‚ dunklen Augen des „Wunderkindes“, als das sie mit 14 Jahren in der Welt des Theaters erschien und als Ereignis in die deutsche Bühnengeschichte einging. Nichts ist so interessant in der Entwicklung eines besonderen Menschen wie der Anfang. Und so blättern wir zurück . . .

Tony van Eyck war, als sie zu ihrem Entdecker Felix Holländer ging‚ weil alle Welt von seinem Roman „Der Demütige und die Sängerin“ sprach‚ bereits Tänzerin. Holländer ahnt die Begabung des sonderbaren Kindes und läßt sie, aus dem Stegreif, das „Mädchen“ aus „Tor und Tod“ lesen‚ geht‚ als sie fertig ist zum Telephon‚ ruft Max Reinhardt an und fährt mit ihr ins Deutsche Volkstheater. Dort muß sie das „Mädchen“ noch einmal lesen und erhält daraufhin von Reinhardt einen Freiplatz am Schönbrunner Seminar und wird nach Wien geschickt. Vier Wochen später sind Schlussprüfungen, und Reinhardt läßt die blutjunge Schauspielerin im Wiener Akademietheater die „Heilige Johanna“ spielen. Das war am 28 Mai 1925, und dieser Abend war ihr erster Schritt zum Ruhm. „Tony van Eyck‚ eine Entdeckung…“ – „…graziös‚ voll Temperament, außergewöhnlich natürliche Begabung…“ — „…sie hat das Profil‚ die Energie und den Schwung eines ungewöhnlichen Temperaments…“. So schreib die Wiener Presse, und Falckenberg gibt ihr sofort einen Vierjahresvertrag an die Münchner Kammerspiele. Dort spielt die Vierzehnjährige „in rätselhafter Echtheit‚ elementar und triebhaft‚ mit den Augen eines Tieres“ die Insulanerin Vaina in Speyers „Südsee“ und die Anya in „Esther und Anya“ von Klaus Mann. Da machte Max Reinhardt auf gütlichem Wege ihren Vertrag rückgängig und engagierte sie an sein Berliner Theater. Und am 29 Dezember 1925 spielt die fünfzehnjährige Tony van Eyck ein sensationelles „Mädchen von Heilbronn“ …bezwingende Ausdrucksfähigkeit…“ — … gestaltete Inbrunst von seltener Leuchtkraft…“ – „…traumhaft sicher wandelndes Wesen…“. So steht es in den Kritiken jener Tage, die wir durchblättern. Aber auch Stimmen, die diese Frühreife ängstig, fehlen nicht, denn das ausbrechende Genie hat für die Umwelt immer etwas Erschreckendes. Tony van Eyck sagt es selbst: man glaubte ihr nicht restlos. Kämpfe kamen und erst fünf Jahre später wurde sie einmütig als „begabt“ anerkannt. Bis dahin war sie „nur“ ein Wunderkind gewesen.

1927 dreht sie ihren ersten Film „Geschminkte Jugend“‚ dem rasch nacheinander „Frühlingserwachen“, „Strich durch die Rechnung“, „Gefahren der Liebe“ folgten, und‚ mit Klaren als Regisseur, ein Lustspiel „Kitty schwindelt sich ins Glück“, denn Tony hatte auch Komik. Auf das Deutsche Theater folgt das Engagement an das Wiener Burgtheater‚ wo sie bis 1944 blieb.

Augenblicklich spielt Tony van Eyck am Salzburger Landestheater‚ das keine Krise kennt. Ihre letzten Rollen waren die Sabina in „Wir sind noch einmal davongekommen“‚ die „Antigone“ von Anouilh‚ Nora, Ophelia‚ Germaine in „Herr Lamberthier“ und Frau Holinka im „Unheiligen Haus“. Die drei letzten Rollen‚ die sie anläßlich eines Innsbrucker Gastspieles darstellte‚ zeigen ihren weiten Bogen. Tony van Eyck ist im sehr aufgeschlossenen Gespräch ein unerschöpflich gebender Mensch.

Der Inhalt einer Interviewstunde könnte ein kleines Buch füllen. Noch immer ist sie ein Phänomen an Vielseitigkeit, Scharm und Urwüchsigkeit, vom Instinkt her. Im Zusammenleben mit einem künstlerischen Gatten‚ dem Maler und Graphiker Karl Anton Reichel, entwickelte Tony van Eyck ihre eigene Kultiviertheit.

Seit dem Tode ihres Gatten, 1944, teilt die Schauspielerin ihr Leben zwischen Vorarlberg, Salzburg und Wien. Sie würde gern wieder in Wien Theater spielen…

Eine Anekdote, erheiternder und nachdenklicher Art‚ stehe am Abschluss dieses Berichts über das Wiedersehen mit einer großen Künstlerin und einem interessanten Menschen.

„Ich hatte“‚ erzählt Tony van Eyck‚ „am Rose-Theater das Gretchen gespielt und ging im Finstern durch die einsame Gegend am Schlesischen Bahnhof nach Hause. Plötzlich trat mir aus einem Torbogen ein Mann entgegen. „Frollein“‚ sagte er‚ „sind Sie die Frau, die det Jretchen markiert hat?“ „Ja‚ das wäre ich“. Darauf er, tiefernst: „Also…ick heirate ihr doch! Wie ick det jesehn hab‚ uff Stroh und meschugge … Nee‚ ich heirate’ ihr!“ Ja, aber ich wäre bereits verheiratet’‚ versuchte ich ihm zu erklären. ‚Nich doch, nich doch‚ die Lina meine ick, die Lina will ick heiraten!“ Sprachs und verschwand. Vier Wochen später bekam ich eine Einladung zur Hochzeit. Der ganze „Ringverein“‚ lauter schwere Jungens‚ waren die Hochzeitsgäste. Lina saß da‚ sie war im siebenten Monat, und einige hundert Jahre Zuchthaus blickten auf uns herab‚ Lina küßte mich‚ ich wurde feierlich als Ehrenmitglied aufgenommen, mit der Schutzzusicherung fürs ganze Leben und gegen jedermann, der es wagen sollte‚ mir jemals etwas anzutun . . .“

Lisa Simmel