Von der kleinen zur grossen Tony

Die Geschichte einer ungewöhnlichen Karriere

aus „Mein Film“ Nr. 360, 1932

Am schönen Rhein stand ihre Wiege. In Koblenz. Es war im Oktober 1910. Die kleine Tony war noch nicht ganz vier Jahre alt, da pochte das Schicksal hart an die Pforte des Elternhauses. ­Im Krieg hielten Sorge und Not ihren Einzug. Mühselig arbeitete die Mutter, um durch schriftstellerische kunstgewerbliche Arbeiten, durch Malerei und Gesangsvorträge zur Laute für die Familie das tägliche Brot herbeizuschaffen. Oft mußte Tony in dieser Zeit in private und klösterliche Pflege gegeben werden. War sie dann aber zu Hause, dann half sie der Mutter, brachte deren fertige Arbeiten weg und verdiente sich nebenher einige Pfennige durch Zeitungaustragen.

Während eines Aufenthaltes in der Schweiz besuchte sie die Lazarette und sang aus eigenem Antrieb den Verwundeten ­Liedchen vor, um sie aufzuheitern. Da erntete sie ihren ersten Beifall. Mit elf Jahren begleitet Tony die Mutter auf einer großen Vortragsreihe, die im strengen Winter weit nach Ostpreußen hin hinführt. Tapfer hält sie den schweren Kampf an der Seite der Mutter durch.

Die folgenden Jahre haben bei Tony van Eyck trotz aller Drangsal schönere Erinnerungen hinterlassen. Sie darf eine Tanzschule besuchen. Das war ihr Traum, seitdem sie im Jahre vorher (1921) in Stuttgart Goethes „Faust“ gesehen. Kurt Junkers hatte ihr als Teufel gefallen. Zu ihm ging sie und deklamierte ihm „Des Sängers Fluch“. Junkers nahm sie mit zum Intendanten Chem. Von ihm erhielt ­sie ihre erste Bühnenrolle, den Tell-Buben in „Wilhelm Teil“. So wurde das Theater ihre Sehnsucht. 1922 wurde ihr bereits eine große Kinderrolle übertragen. Das Peterchen in „Peterchens Mondfahrt“, Tony ist nun 13 und gehört 1924 schon fest zum Ensemble des Freilichttheaters ­in Säckingen als erste Elfe im „Sommernachtsträum“.

Dann kommt der Wendepunkt in ihrem Leben. Tony van Eyck faßt sich ein Herz und steht eines Tages vor Felix Hollaender. Will ihm vortanzen. Dem aber gefällt ihre schöne Stimme und ihre klangreiche Sprache. Er läßt sie lesen. Er nimmt sie gleich mit zu Max Reinhardt. Sie muß wieder lesen und — im Frühjahr 1925 nach Wien kommen, in die Reinhardt-Klasse der Hochschule für darstellende Kunst. Drei Wochen intensivster Arbeit enden mit der Übernahme der Rolle „Heilige Johanna“ (Shaw) am Akademie-Theater. Dies wird ihr erster großer Erfolg, den die gesamte Presse vermerkt: „Die Entdeckung ist Tony van Eyck.“ Die Münchener Kammerspiele sichern sich die jugendliche Künstlerin durch einen vierjährigen Vertrag.

Die Sommermonate verbringt Tony van Eyck in der Wiesenhütte, an den Zippendorfer Wiesen in Mecklenburg. Wunderbare Monate. Die geistige und berufliche Weiterbildung erledigt sie spielend, eine strebsame Schülerin voll Wissensdurst und Begabung. Noch im Jahre 1925 holt Reinhardt Tony von München ans Deutsche Theater nach Berlin und am 29. Dezember 1925 kann die eben Fünfzehnjährige als „Kätchen von Heilbronn“ einen Erfolg verbuchen, wie er selten einer so jugendlichen Künstlerin beschieden ist. So erobert sie sich in einem Jahr drei der größten deutschen Theaterplätze.

Nach bisher bewußter Zurückhaltung vom Film folgt im Frühjahr 1929 Tonys Filmdebüt in „Geschminkte Jugend“, eine faszinierende Leistung, sagt die Kritik. Ein ebenso starker Erfolg wird ihre Wendla im dem Film „Frühlingserwachen“.

Die Filmarbeit schließt in diesem Jahr mit der Viktoria in „Revolte im Erziehungshaus“. Den Winter sieht man Tony unter anderem im Deutschem Volkstheater als „Scampolo“. Die Presse stellt die Abende unter das Motto: „Alles um Tony“.

Die Winterspielzeit. 1930/31 bringt Tony van Eyck den Glanzpunkt ihrer Bühnenlaufbahn mit der Darstellung der „Jungfrau von Orleans“ im Staatstheater. Auch ihr erster Tonfilm „Gefahren der Liebe“, der in dieses Jahr fällt, wird für sie ein großer Erfolg.

Die Saison 1931/32 sieht Tony van Eyck wieder in zwei wundervoll gestalteten Rollen auf der Bühne, als Gretchen in Goethes „Faust,“ und als lnke Peters in Hauptmanns „Sonnenuntergang“ als

Partnerin von Otto Gebühr und von Werner Krauß.

Das Frühjahr bringt einen neuen Tonfilm „Kitty schwindelt sich ins Glück“ und dann sichert sich die Ufa die Künstlerin für einige Filme, deren erster: „Strich durch die Rechnung“ soeben in Wien zur Aufführung gelangt.

Was war es nun, das ihr schon in so jungen Jahren diesen großen Erfolg bescherte? Daß sie natürlich, menschlich überzeugend ernst blieb. Eine kaum merkliche Geste, eine Bewegung des Kopfes, ein Lächeln, ein Aufblicken der großen, schönen Augen sagen oft mehr, als es Worte können. Das machte sie zu der begnadeten Künstlerin, die sie ist – die man so gerne mit Elisabeth Bergner zusammen nennt.