Begegnung mit Toni van Eyck

Die Wiener Bühne, Heft Nr. 470 aus 1938

BEGEGNUNG mit TONI van EYCK

Junge Schauspielerinnen sind wunderbare Menschengebilde. Kaum erblüht, sind sie schon dazu berufen, vollkommen zu sein; kaum mit dem Leben in Berührung gelangt, haben sie anderen schon Abbild und Symbol dieses Lebens vorzutragen.

Dies sei hier als Einleitung zu dem Bericht über eine Begegnung mit einer — für Wien — neuen und hochinteressanten jungen Schauspielerin gesagt, Toni van Eyck, die neulich im Burgtheater die Jungfrau von Orleans spielte, jetzt wieder nach Berlin zurück mußte, aber von Mai an dem Burgtheater angehören wird: wozu wir Wiener uns nur gratulieren können, denn Frau van Eyck, Mädchengestalt und junge Frau, bald holdselig lächelnd und kindlich unbekümmert, bald tiefernst, ja, sibyllenhaft strenge und unter geräumiger Stirn Gedanken sorgfältig erwägend, könnte kaum etwas anderes sein als Schauspielerin.
Sie hat auch ihre eigene und festgefügte Meinung von dem Beruf. Sie erzählt uns davon, während sie im Vorzimmer der Kanzlei des Burgtheaterdirektors sitzt. Draußen schimmert das erste Grün des Volksgartens und der Frühlingswind schwingt die große Hakenkreuzfahne des Theaters hin und her, daß sie leuchtende Wellen schlägt, die über dem Gesicht der jungen Schauspielerin hin und her fluten, seine außerordentliche Plastik noch unter unterstreichend. „Schauspielerin sein ist nicht ein Beruf wie ein anderer“, sagte sie, „man muß dafür davonlaufen, alles andere in den Wind werfen können! Hat man dies starke Muß nicht in sich, so wird man immer im Mittelmaß bleiben. Und das ist dann schlimm, wenn man ehrgeizig ist.“
Mit ihren 27 Jahren ist Toni van Eyck schon so etwas wie eine Veteranin der Schauspielkunst, begann sie ihre Laufbahn doch mit 13 Jahren! Eine geborene Koblenzerin, wuchs sie im Kloster auf der Fraueninsel im Chiemsee auf, wo ihre Seele von der Romantik und Innerlichkeit der naturumgebenen Klosteratmosphäre ergriffen wurde. „Ich wollte Märtyrerin werden, und kam — zum Theater!“ meinte sie lächelnd, „was eigentlich nicht viel Unterschied ist.“
Phantasie und Gefühlsüberschwang trieb sie dazu, dem Leben, das sie derart im Innersten erfaßte, nachzugehen; doch statt es leidenschaftlich zu verneinen, gelangte sie als der positive Mensch, der sie ist, dazu, ­es leidenschaftlich zu bejahen, indem sie es darstellte.

ln einer romantischen Umgebung und unter außerordentlichen Umständen geschah auch ihr erstes Auftreten auf der Schloßterrasse in Säkkingen. Hier sollte sie im Sommertheater den Tellknaben spielen.
„Da brach Hebbels Brunhild den Arm und ich lernte ihre Rolle in drei Tagen. Der Direktor lachte sich erst halb tot, als ich meinen Vorschlag machte — ich war noch nicht 14 Jahre —, aber nachher gratulierte er mir. Es war sehr schön, denn ich hatte keine Vorstellung von der Schwierigkeit der Aufgabe und kein Lampenfieber, sondern bloß Freude und Vergnügen.“ Freude und Vergnügen am Spiel betrachtet sie auch seither als wesentlich. „Das rein handwerkliche Repetieren bringt nicht meine beste Arbeit heraus, deshalb weiß ich oft bis zur Premiere nicht recht, woran ich bin. Ich brauche das Publikum; sein Atem regt mich an und gibt mir Dinge ein, die ich vorher nicht gewußt habe. Denn aus sich selbst allein kann der Künstler nicht immer schöpfen, das erschöpft ihn.“

Es ist bezeichnend für Toni van Eycks sozusagen transzendente Art des Spieles, daß die erste Rolle, mit der sie einen durchschlagenden Erfolg in Berlin hatte — zugleich auch ihre erste Rolle dort überhaupt ­—, das Käthchen von Heilbronn war. Neben klassischen möchte sie aber auch öfter moderne Stücke spielen. „Eine neue Rolle kreieren ist doch eine schöpferische Arbeit! Das beschwingt einen in noch ganz anderer Weise. Besonders heitere Rollen in guten Lustspielen geben Gelegenheit, ­die eigene Persönlichkeit einzusetzen, während man bei den Klassikern vor allem dem Werke gerecht werden muß.“ Mit der letzten Rolle, die sie jetzt in Berlin an der Volksbühne spielte, einer ausgesprochenen komischen Gestalt in Juliane Kays Lustspiel „Der Schneider treibt den Teufel aus“, war sie sehr zufrieden.

In Berlin hat sie „Wohnung, Mann, Mädchen und das Kind Veronika, das acht Jahre alt ist“ — was die Mutter zweimal sagen muß, denn wir können es kaum glauben —, „einen Setter und einen schwarzen Kater.“ Der Hund macht ihr mit Rücksicht auf den kommenden Aufenthalt in Wien Sorge, weil er nicht gewohnt ist, mit Maulkorb zu gehen! Ihr Mann hat einen „normalen Beruf“ und geht nie zu einer Premiere, „weil er da zu aufgeregt wäre“. Sie fragt ihn auch nie vorher um sein Urteil. „Man muß alles selbst in sich haben. Ich würde mir nie etwas dreinreden lassen!“ meint sie selbstbewußt. Aber nachher ist sie natürlich sehr begierig auf seine Meinung. Er ist ihr strengster Kritiker und „wenn er mal zufrieden ist, dann weiß ich, daß es wirklich gut ist“.

Sie freut sich sehr auf Wien, das sie seit 1925, als sie als Schülerin im Akademietheater die Jungfrau von Orleans spielte, nicht gesehen hat. Sofort, als die Grenze geöffnet wurde, kam sie her, um dem Dichter Mirko Jelusich, der damals über ihr Auftreten im Akademietheater die erste Kritik schrieb und seither ihre Laufbahn in Berlin verfolgte, „Guten Tag!“ zu sagen.
Sie fand ihn als Direktor des Burgtheaters, der sie gar nicht mehr losließ und auf der Stelle zu einem Vertrag verpflichtete. Sie freut sich furchtbar auf Wien, nicht nur, weil es eine „alte Liebe“ von ihr ist, sondern auch, weil ihr Kind jetzt gerade in die Jahre kommt, da sich die Seele formt, und sie glücklich ist, ihm gerade da „die Heiterkeit der Atmosphäre der Wiener Landschaft geben zu können“.

A. T. Leitich